© 1984 - 2025 | DIE ANDEREN

Gestaltung: Richter | Schüler

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Die Zukunft des Popgeschäfts

März 2012

Von Assbook bis Zyntoflak
Die Zukunft des Popgeschäfts


Von Mark Modsen

Gustav Schmittrich-Schlaffle, von seinen Freunden Tavo genannt, fingert nach dem Smartphone und schaltet den Geruchsalarm aus. Die Nachtschichtler seiner WG störte es, dass sich der schwerhörige Musiker mit massiven Beats vom Handywoofer wecken ließ. Deshalb spendierten sie ihm Smellfire Clocktastic aus dem Android Market. Heute verströmt die App den Duft „Oriental Pussy“, passend zur Morgenlatte. Tavo legt schläfrig Hand an sich. Selbst die dümmste Gans weiß, dass Musiker Loser sind. Groupies kommen nur noch in den zyntoflakvernebelten Geschichten der Alten vor. Krasser Stoff. Zyntoflak lässt sich im Heimlabor aus Toner und Batterien herstellen. Kostet so gut wie nix, macht stumpf wie Stulle und bettschwer wie Blei.

Tavo wälzt sich von der Matratze und knipst die implantierte Stirnkamera an. Dann torkelt er über den Flur und lässt sich auf dem versifften Gemeinschaftsklo nieder. 2836 Liker seines Assbook-Profils können jetzt den Videostream sehen. Facebook ist in der Szene schon lange verpönt. Spätestens, als er durch mysteriöse Kursmanipulationen den burmesischen Coltan-Milliardär Huang Dong als reichsten Mann der Welt abhängte, ist Mark Zuckerberg der Posterboy des bösen Netikalismus. Musiker hassen ihn außerdem, weil er KompoApp eingeführt hat. Die funktioniert nach dem Prinzip: Lass dir unser EmoSense einpflanzen und wir spielen dir vor, wie der Song zu deiner Gemütslage von morgen klingen würde, wenn du komponieren könntest. Abartig, findet Tavo. Er zieht das Darknet-Forum Assbook vor, das von isländischen Hacktivisten betrieben wird.

Der Textkonverter schickt die ersten Kommentare seiner Fans auf den Backenzahnlautsprecher.
„Moin, geile Mugge gestern auf Skype.“
„Nimm Papier und nicht die Finger, hehehe.“
„Schickst du mir ein Hologramm von dir?“
„Später“, knurrt der 23-jährige. „Oder wollt ihr eins vom Scheißhaus? Ja? Das kostet extra. Die Miete für das Loch hier ist 17.000 Neuro – ohne PlaNet-Zugang.“

Tavo beendet seine Morgentoilette nach dem Holoshoot und schlurft in die Küche. Seit dieser malaiische Rapper in seinen Videos echte Opfer enthauptet hat, erwarten Fans von ihren Stars mindestens einen Livestream aus deren Privatleben. Ohne Skandale keine Assbook-Liker, keine Werbekunden, keine Gigs auf Skype oder im Hypermarkt von MetroMedia, wo Musiker mit PlaNet-Accounts entlohnt werden. Seine Exfreundin, die Doomcore-Sängerin Queenie, wurde prompt von ihrer Körperagentur entlassen, als sie die Hauptrolle in einem Triple Penetration Porno ablehnte. Dafür hatten sich über 7000 karrieregeile Teenager casten lassen. Queenie allerdings kann auf Rolle wie Agentur pfeifen. Doomcore-Konzerte münden oft in tödliche Faustkämpfe der Besucher. Die Sängerin darf sich rühmen, die mörderischen Prügeleien genetisch gedopter Kids im Verein mit der Sportwettenmafia zu einem profitablen Geschäft gemacht zu haben. Einige der Killboxer sind mittlerweile bekannter als ihre Entdeckerin. Solange sie mitkassiert, ist ihr das egal.

Tavo seufzt. Zu seinem Sound würde ein Fightclub nicht passen. Er sampelt Tiergeräusche aus der Paarungszeit und bastelt daraus minimalistische Dancetracks für Nudedating-Events. So entgeht er den Abmahnungen gieriger Anwälte, die ihre Netbots Milliarden von mp7-Files nach Plagiaten durchkämmen lassen, um deren Produzenten zu verklagen. Doch Sequenzen aus Vogelgezwitscher und Brunftgrunzen kann sich auch die mächtige Sonywarner Emiversal nicht beim Neurozonen-Markenamt schützen lassen.

Das bewahrt Tavo vor dem Knast, aber nicht vor Hungerattacken. Es gibt so gut wie keine Schwarzjobs für Musiker mehr, seit das Bargeld abgeschafft wurde. Manche verdingen sich als Organfarmer, aber dafür ist Tavo noch nicht verzweifelt genug. Er liefert lediglich sein Sperma gegen Essenmarken bei einer zungenfertigen Angestellten der Aldi SpermBank ab. So hat er auch wenigstens einmal im Monat sowas wie Sex. Aber eine Tour lässt sich damit nicht finanzieren. 38 Neuro für einen Liter Pflanzendiesel und Maut auf allen Straßen haben das Livegeschäft umgekrempelt. In den Clubs stehen jetzt 3D-Projektoren. Die Musiker mieten eine Skype-Box. Von dort könnten sie hundert Orte zu gleichen Zeit bespielen – theoretisch. Meist tragen die Werbe-Holos knapp die Skype-Kosten.

Tavo schlüpft in seine Schuhe. Promo-Tag. Auf zum nächsten Schulhof und den Kids heimlich die eigenen Videotracks auf die ungeschützten Smartphones gespielt. Jeder 80. schaltet später mal für zweieinhalb Minuten den verlinkten Assbook-Stream ein. Ausreichend, um ein Dutzend Spotlets einzublenden.

Vor der Schule angekommen, tippt er auf den Feelscreen seines Smartphones, um das Revier nach der Konkurrenz zu scannen. Die Oberfläche verwandelt sich in ein pulsierendes Nadelkissen. Scheiße, Petabyte-Sticker in der Nähe. Er kreist mit dem Handy um eine Buschgruppe, bis er das aufgeklebte Solarplätzchen entdeckt hat. Fünf Petabyte Speicherplatz, gefüllt mit allen Musikaufnahmen der Menschheit. Funkt eine Ewigkeit im Radius von drei Kilometern. Verdammte Copyright-Vandalen. Hier sind die Handyspeicher vollgesogen bis in den letzten Memomer-Kristall.

Auf dem Weg zum nächsten Schulhof fällt sein Blick auf die Schlagzeilen an der eBook-Tanke gegenüber: „Sensation! Baby mit verschließbaren Ohren geboren“. Wenn das so weitergeht, werde ich Zyntoflak-Dealer, denkt der Musiker und schiebt seine In-Ears in die Gehörgänge. Die heranzischende FlyTram hört Gustav Schmittrich-Schlaffle nicht mehr.
Das Video von den letzten Sekunden seines Lebens bekommt 718.945 Likes auf Assbook.

Von Assbook bis Zyntoflak
Die Zukunft des Popgeschäfts


Von Mark Modsen

Gustav Schmittrich-Schlaffle, von seinen Freunden Tavo genannt, fingert nach dem Smartphone und schaltet den Geruchsalarm aus. Die Nachtschichtler seiner WG störte es, dass sich der schwerhörige Musiker mit massiven Beats vom Handywoofer wecken ließ. Deshalb spendierten sie ihm Smellfire Clocktastic aus dem Android Market. Heute verströmt die App den Duft „Oriental Pussy“, passend zur Morgenlatte. Tavo legt schläfrig Hand an sich. Selbst die dümmste Gans weiß, dass Musiker Loser sind. Groupies kommen nur noch in den zyntoflakvernebelten Geschichten der Alten vor. Krasser Stoff. Zyntoflak lässt sich im Heimlabor aus Toner und Batterien herstellen. Kostet so gut wie nix, macht stumpf wie Stulle und bettschwer wie Blei.

Tavo wälzt sich von der Matratze und knipst die implantierte Stirnkamera an. Dann torkelt er über den Flur und lässt sich auf dem versifften Gemeinschaftsklo nieder. 2836 Liker seines Assbook-Profils können jetzt den Videostream sehen. Facebook ist in der Szene schon lange verpönt. Spätestens, als er durch mysteriöse Kursmanipulationen den burmesischen Coltan-Milliardär Huang Dong als reichsten Mann der Welt abhängte, ist Mark Zuckerberg der Posterboy des bösen Netikalismus. Musiker hassen ihn außerdem, weil er KompoApp eingeführt hat. Die funktioniert nach dem Prinzip: Lass dir unser EmoSense einpflanzen und wir spielen dir vor, wie der Song zu deiner Gemütslage von morgen klingen würde, wenn du komponieren könntest. Abartig, findet Tavo. Er zieht das Darknet-Forum Assbook vor, das von isländischen Hacktivisten betrieben wird.

Der Textkonverter schickt die ersten Kommentare seiner Fans auf den Backenzahnlautsprecher.
„Moin, geile Mugge gestern auf Skype.“
„Nimm Papier und nicht die Finger, hehehe.“
„Schickst du mir ein Hologramm von dir?“
„Später“, knurrt der 23-jährige. „Oder wollt ihr eins vom Scheißhaus? Ja? Das kostet extra. Die Miete für das Loch hier ist 17.000 Neuro – ohne PlaNet-Zugang.“

Tavo beendet seine Morgentoilette nach dem Holoshoot und schlurft in die Küche. Seit dieser malaiische Rapper in seinen Videos echte Opfer enthauptet hat, erwarten Fans von ihren Stars mindestens einen Livestream aus deren Privatleben. Ohne Skandale keine Assbook-Liker, keine Werbekunden, keine Gigs auf Skype oder im Hypermarkt von MetroMedia, wo Musiker mit PlaNet-Accounts entlohnt werden. Seine Exfreundin, die Doomcore-Sängerin Queenie, wurde prompt von ihrer Körperagentur entlassen, als sie die Hauptrolle in einem Triple Penetration Porno ablehnte. Dafür hatten sich über 7000 karrieregeile Teenager casten lassen. Queenie allerdings kann auf Rolle wie Agentur pfeifen. Doomcore-Konzerte münden oft in tödliche Faustkämpfe der Besucher. Die Sängerin darf sich rühmen, die mörderischen Prügeleien genetisch gedopter Kids im Verein mit der Sportwettenmafia zu einem profitablen Geschäft gemacht zu haben. Einige der Killboxer sind mittlerweile bekannter als ihre Entdeckerin. Solange sie mitkassiert, ist ihr das egal.

Tavo seufzt. Zu seinem Sound würde ein Fightclub nicht passen. Er sampelt Tiergeräusche aus der Paarungszeit und bastelt daraus minimalistische Dancetracks für Nudedating-Events. So entgeht er den Abmahnungen gieriger Anwälte, die ihre Netbots Milliarden von mp7-Files nach Plagiaten durchkämmen lassen, um deren Produzenten zu verklagen. Doch Sequenzen aus Vogelgezwitscher und Brunftgrunzen kann sich auch die mächtige Sonywarner Emiversal nicht beim Neurozonen-Markenamt schützen lassen.

Das bewahrt Tavo vor dem Knast, aber nicht vor Hungerattacken. Es gibt so gut wie keine Schwarzjobs für Musiker mehr, seit das Bargeld abgeschafft wurde. Manche verdingen sich als Organfarmer, aber dafür ist Tavo noch nicht verzweifelt genug. Er liefert lediglich sein Sperma gegen Essenmarken bei einer zungenfertigen Angestellten der Aldi SpermBank ab. So hat er auch wenigstens einmal im Monat sowas wie Sex. Aber eine Tour lässt sich damit nicht finanzieren. 38 Neuro für einen Liter Pflanzendiesel und Maut auf allen Straßen haben das Livegeschäft umgekrempelt. In den Clubs stehen jetzt 3D-Projektoren. Die Musiker mieten eine Skype-Box. Von dort könnten sie hundert Orte zu gleichen Zeit bespielen – theoretisch. Meist tragen die Werbe-Holos knapp die Skype-Kosten.

Tavo schlüpft in seine Schuhe. Promo-Tag. Auf zum nächsten Schulhof und den Kids heimlich die eigenen Videotracks auf die ungeschützten Smartphones gespielt. Jeder 80. schaltet später mal für zweieinhalb Minuten den verlinkten Assbook-Stream ein. Ausreichend, um ein Dutzend Spotlets einzublenden.

Vor der Schule angekommen, tippt er auf den Feelscreen seines Smartphones, um das Revier nach der Konkurrenz zu scannen. Die Oberfläche verwandelt sich in ein pulsierendes Nadelkissen. Scheiße, Petabyte-Sticker in der Nähe. Er kreist mit dem Handy um eine Buschgruppe, bis er das aufgeklebte Solarplätzchen entdeckt hat. Fünf Petabyte Speicherplatz, gefüllt mit allen Musikaufnahmen der Menschheit. Funkt eine Ewigkeit im Radius von drei Kilometern. Verdammte Copyright-Vandalen. Hier sind die Handyspeicher vollgesogen bis in den letzten Memomer-Kristall.

Auf dem Weg zum nächsten Schulhof fällt sein Blick auf die Schlagzeilen an der eBook-Tanke gegenüber: „Sensation! Baby mit verschließbaren Ohren geboren“. Wenn das so weitergeht, werde ich Zyntoflak-Dealer, denkt der Musiker und schiebt seine In-Ears in die Gehörgänge. Die heranzischende FlyTram hört Gustav Schmittrich-Schlaffle nicht mehr.
Das Video von den letzten Sekunden seines Lebens bekommt 718.945 Likes auf Assbook.

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